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"Ein Mitternachtsspuck im Museum" von Karl Räder

Stadtmuseum Bad Dürkheim im Kulturzentrum Haus Catoir Schriftgut - wissenschaftliche Aufsätze, Druckfahnen aus Nachlässen Nationalsozialismus Persönlichkeiten - Räder, Karl [2022/0348]
https://rlp.museum-digital.de/data/rlp/resources/documents/202211/21005457856.pdf (Stadtmuseum Bad Dürkheim im Kulturzentrum Haus Catoir CC BY-NC-SA)
Herkunft/Rechte: Stadtmuseum Bad Dürkheim im Kulturzentrum Haus Catoir (CC BY-NC-SA)
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Beschreibung

Verfasst von Karl Räder unter dem Künstlernamen "Ernst Fröhlich". 5 Typoskript-Seiten mit handschriftlichen Eintragungen.

Datiert auf den 1. April, ist das 1934 verfasste Stück der Form nach – und dem Anlass entsprechend – eine Groteske: In der Geschichte lässt Räder im alten Museum in der Gaustraße die Geister zahlreicher verstorbener Pfälzer Persönlichkeiten zusammentreffen, wie jedes Jahr an diesem Tag. Dieses Mal bejubeln sie die "Neue Zeit", das "3. Reich" sowie den Nationalsozialismus.

Der Geist von Johann Georg Lehmann (Pfarrer und Historiker, 1797-1876) kommt dabei ausführlicher zu Wort. Unter anderem feiert er den „gottbegnadeten Führer“ und ist erfreut über über die „meisten Stimmen bei der letzten grossen Wahl“. Dieser Auftritt verstört besonders, wenn man bedenkt, dass Lehmann 1849 eine Denkschrift an die Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche zugunsten der gesellschaftlichen und politischen Gleichberechtigung jüdischer Mitbürger verfasst hatte und es vor der Abfassung des Gedichts bereits zu gewalttätigen Ausschreitungen gegen Bad Dürkheimer Juden gekommen war, die allgemein bekannt waren, auch Räder, der als Persönlichkeit des öffentlichen Lebens in der Politik bestens vernetzt war.

Räder spielt auch auf den Kriemhildenstuhl (Brunholdisstuhl) an, der jetzt „endlich erkannt als altgermanische Kultstätte“ sei. Die in der NS-Zeit vorgenommenen Ausgrabungen hatten zum Ziel, eine solche Kultstätte zu „belegen“. Räder verfasste dazu später ein eigenes Gedicht (Inv.-Nr. 2023/0470). In der Angelegenheit wandte er sich in einem Brief an den in Bad Dürkheim ansässigen Arzt Adolf Stoll (Inv.-Nr. 2023/0724/001), einen überzeugten Nationalsozialisten, der sich der „germanischen“ Interpretation des Kriemhildenstuhls verschrieben hatte. Frühere, auf tatsächlichen wissenschaftlichen Grundlagen beruhende Untersuchungen hatten allerdings bereits eindeutig erwiesen, dass es sich um einen römischen Steinbruch handelt.

Mit diversen handschriftlichen Vermerken
S. 1: „Zu den Akten Altertumsvereins Dürkheim (...) Räder“
S. 5: "Dem verdienten Museumsvater Frank zu Ehren geschrieben von Karl Räder. Fand nirgends Verständnis.
Abgelehnt vom Dürkheimer Tageblatt 12.5.1934."

Material/Technik

Papier / geschöpft, beschrieben

Abschrift

Original: Deutsch

Ein Mitternachtsspuck im Museum zu Bad Dürkheim. Von Ernst Fröhlich, Bad Dürkheim (Handschriftlich: Karl Räder 1.IV.1934) Mitternacht im Museum. Ausgestopft und entseelt steht alles Getier starr und stumm in den Schränken. Nur in der altpfälzischen Urahnenstube gräbt in der Standuhr der Holzwurm. Jetzt dröhnt es zwölf vom Turm der nahen Schlosskirche. Die ausgestopfte Katze auf dem alten Nussbaumbett macht einen Buckel, miaut und reckt sich. Aus einer Wand schwebt die weißhaarige Urgrossmutter. Die Standuhr fängt an zu ticken, Der Kanarienvögel trillert. Die ·alte Stube lebt und atmet wieder. Die Ahne setzt sich an den alten Tisch. Sie rückt die alte Stahlbrille zurecht und betet aus der vergilbten Hausbibel. Jetzt prasselt das Feuer nebenan in der Küche auf dem alten Rauchfangherd, Die Ahne mahlt Kaffee zwischen dern Knien, Aus der Kupferpfanne steigt würzig der Duft hinauf durchs ganze Museum. Der Schimpanse schnuppert lüstern. Die Gemse spitzt. Alles wird lebendig und steigt aus den Schränken, Der alte Admiralitätsrat v. Neumayer schreitet würdig von seinem Büstensockel. Aus Bildern und Büchern schweben die grossen deutschen Geister der vergangenen; Jahrhunderte und formen sich wieder zu Fleisch und Blut: Der alte Dr. Schultz bipontinus als Deidesheim; Waldeyer der berühmte Berliner, Arzt Virchow, der Ärztelehrer und Trichinenvater, Gümbel, der Geologe ja sogar Pollich, der Naturforscher selbst Dr. Mehlis mit der blauen Brille; Rektor Roth; Karl und Hermann Schäfer, Arm in Arm der alte Lehrer und Botaniker Lingenfelder von Seebach; Professor Bischoff sen. und Dr. Hugo Bischoff; Apotheker Eccard mit dem Protokollbuch, und Dutzende andere erlauchte Geister aus den Annalen der Pollichia und des Dürkheimer Altertumsvereins. - Seite 2 – Stumm und gravitätisch steigen sie die Treppen hinab, angezogen vom Kaffee-Aroma ins grosse altpfälzische Zimmer Alle ausgestopften Tiere und Skelette marschieren mit voran der Storch und alle Vögel mit einem Schild: Heil: unserem Vogelvater: Zumstein! dann die Rehe und Füchs, Schlangen, Krebse, Schmetterlinge, Käfer schweben darüber. Viele edle Stifter schliessen sich auf der Treppe und den Gängen an. Auch Valentin Ostertag und seine Gemahlin steigen aus dem Rahmen im Portal. Kurfürst Karl Theodor im Hermelinmantel erwacht aus seinem Bild; ferner Abt Heinrich von der: Limburg, der fromme Stifter des Wurstmarktes; Emich der achte von Hartenburg, der Jäger aus Kurpfalz; der Fürst von Leiningen, der Erbauer des Dürkheimer Stadthausschlosses; hinter ihm Iffland und Dalberg; Hand in Hand der Geschichtsforscher Pfarrer Lehmann und Remling, Bürgermeister Rudolf Bart. Und hundert andere verdiente Namen, die die Neuzeit fast vergessen. Alle strömen und schweben sie ins altdeutsche Zimmer, das sich. lautlos dehnt zum Riesenfestsaal. Weissgedeckt leuchten die langen Tafeln. Hell blinken die Römer statt Kaffeetassen. Der Zwerg Perkeo aus Heidelberg schenkt ein: 1811er Spätlese vom heiligen Dürkheimer Michelsberg. Pollich, der Namenspatron der Pollichia, klopft mit einem Saurierzahn ans Glas: "Meine lieben Kreaturen und Menschen! Wie alljährlich sind wir in der Nacht auf den 1. April auferwacht um zu hören, was es Neues gibt in der sonnigen Pfalz I im fröhlichen Bad Dürkheim und in unserem Museum. Beglückt kann ich nur Erfreuliches -Seite 3- ja Grandioses berichten. Nachdem vor Jahren schon die Dürkheimer Stadtverwaltung dieses grosse Haus als unser dauerndes Heim überlassen hat, hat sie nun auch, inspiriert vom Geiste der grossen deutschen Erhebung den ganzen Museumsbestand und damit uns alle zu treuen Händen für alle Zeiten übernommen. Eine musterhafte Ordnung herrscht, soweit es die Räume gestatten dank. der selbstlosen vorbildlichen Mitarbeit unserer Dürkheimer Heimatfreunde unter Leitung des Herrn Rates Frank. In unserer aller Namen bitte ich Sie Ihre Gläser zu ergreifen und ihnen dankbar und geisterhaft aus dem Jenseits zuzutrinken mit einem herzlichen „Dank und Siegheil! Prosit !“ Nun ergriff der Pfälzische und Dürkheimer Historiker Pfarrer Lehmann das Wort: „Liebe deutsche Mitchristen, Menschen, Gotteskreaturen und Fossilien Zugeich im Namen meines verehrten Kollegen Remling habe ich wieder zu berichten, was seit einem Jahre draussen und droben in der noch lebendigen Pfälzer Welt sich ereignet hat Eine grandiose neue deutsche Zeit ist angebrochen. Ein gottbegnadeter Führer hat endlich alle echt deutschen Herzen geeint und zu einem Block gesohmiedet; Barbarossa, der alte Fritz und Bismarck sind sich vor Freude darüber im Walhallahimmel mit Tränen der Rührung und Begeisterung um den Hals gefallen, Unsere Pfalz hatte. als Eckpfeiler, Grenze und Westmark des neuen grossen Reiches die meisten nationalsozialistischen Stimmen bei der letzten grossen Wahl! (alles ruft geisterhaft „Bravo“!) Die streitschwangeren Landesgrenzen sind gottlob hinweggeblasen. In Bälde wird der grosse Stamm der Rhein- und Wein-.Franken zu einer grossen deutschen Stammeslandschaft im Rahmen des 3. Reiches wieder zusammengeschlossen. Auch in der jetzigen Pfalz herrscht -Seite 4- neuer deutscher Geist. Unsere Pollichia und unser Altertumsver­ein haben sich einmütig den grossen kulturellen Organisationen zu hingebender Arbeit angeschlossen. Der Same, den wir einst gesät, geht endlich fruchttragend auf! Wir können uns wieder stolz und ruhig schlafen legen. Schade, dass wir diesen Gipfelpunkt. einer zweitausendjährigen kriegs-und hadervollen deutschen Geschichte nicht mehr lebendig miterleben konnten!- Auch in unserem ;Bad Dürkheim tagt es hell und rosigrot. Der Kurgarten wird erweitert bis zum Gradierbau. Ein Riesen--Weinfass., fünfzehnmal, grösser als das Heidelberger, wird beim Wurstmarkt als Dürkheimer Wein-Wallfahrtsstätte erbaut, (Der Heidelberger Hofnarr Perkeo ruft. Entrüstet „Oho.!“). Der Brunholdisstuhl wird. z.Zt. frei gegraben und endlich erkannt als altgermanische Kultstätte. Wie in Uralten Zeiten wird er wieder das Wanderziel vieler tausender arisch-germanischer Waller werden. Sonnwendfeuer werden von. ihm wieder lodern und dem Frankenlande· künden von der grossen, jungen deutschen Kraft und Einheit! Das Refektorium der· ehrwürdigen Abteiruine Limburg wird wieder (in diesem Augenblick klopft es laut an der Tür alles schaut gespannt nach· dem Eingang, Der alte· Rat und langjährige Museumsvater Frank vom Stammtisch, der Weinstube Bachmayer heimkehrend, hatte im Museum Licht gesehen, hatte aufgeschlossen, stand jetzt mit seinem ehrwürdigen weissen Bart wie eine lebende Geistererscheinung mit seinem Hörverstärker unter der Türe, die Rechte zum deutsch Gruss erhebend! Im Nu war er umringt von seinen vielen Getreuen und Pflegebefohlene. Schwubb sass ihm ein Affe auf den -Seite 5- Schulter, gackernd beschnäbelte ihn der Vogel Strauss. Ein Skelett schlug einen Freudensaltomortale Mammutknochen tanzten stampfend. Perkeo, der Zwerg sprang sich überkugelnd auf den Tisch und kredenzte ein Glase 1811er. Alle grossen Geister stiessen dankend mit ihm an und riefen begeistert „Prosit! Heil! Langes Leben!“ Rat Frank aber erhob bescheiden und befangen sein Glas und rief: „Meine Herren! Ich habe ja weiter nichts getan als meine Pflicht als Deutscher und Pfälzer! Hoch die deutsche Jugend, die uns müde Alte jetzt gottlob ablöst! Siegheil der Pfälzer Heimat und dem neuen Reich!“ In diesem feierlichen Moment rasselte das Schlagwerk der nahen Schlosskirchenuhr dröhnend schlug es auf dem Turm eins. Ein dumpfes Rollen: Und Dunkelheit und Stille herrschte wieder im weiten und grossen Dürkheimer Museum. Und alles· war nur eine Mitternachtsvision eines alten heimatbegeisterten Pfälzer Poeten, beflügelt durch die Geister einer Flasche·192ger Dürkheimer Nonnengarten Spätlese, Wachstum der Stadt Bad Dürkheim. Dem verdienten Museumsvater Frank zu Ehren geschrieben von Karl Räder. Fand nirgends Verständnis Abgelehnt vom Dürkheimer Tageblatt
Stadtmuseum Bad Dürkheim im Kulturzentrum Haus Catoir

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