Original: Deutsch
Nr. 170 - DIE RHEINPFALZ FEUILL ETON
Dienstag, 3. August 1976
Der Begründer der pfälzischen Landesgeschichte
Vor hundert Jahren starb Johann Georg Lehmann - Eine ungeheure Fülle historischen Materials hinterlassen
"Eine vollständige Landesgeschichte der
Pfalz am Rheine steht vielleicht, wenn mir
Gott Gesundheit und Kräfte verleiht und ich
auch mit Materialien unterstützt werde, in
einigen Jahren zu erwarten." Als Johann
Georg Lehmann 1842 diese Absicht hegte,
konnte er bereits aut eine für damalige Ver-
hältnisse respektable Reihe von Veröffentli-
chungen zurückblicken, die seinen Namen un-
ter Geschichtsfreunden hinreichend bekannt
gemacht haben.
In einem Brief an Lehmann vom 6. März 1841
schrieb der bayerische König Ludwig I.:
"... Ich hatte das Vergnügen, Ihre Zuschrift
vorn 27. Februar zu empfangen, mit welcher
Sie Mir das dritte Heft Ihrer geschichtlichen
Gemälde aus der Pfalz, das Neustadter Tal,
übermachten. Gerne sage Ich Ihnen meinen
Dank dafür. Recht löblich ist das weitere Un-
ternehmen, wovon Sie Mir schreiben, einer
vollständigen rheinpfälzischen Ge-
schichte...".
Wenn sich auch diese damals geäußerten
Hoffnungen Lehmanns nicht erfüllen sollten,
so nimmt er dennoch unter den Vertretern der
pfälzischen Landes- und Lokalgeschichtsfor-
schung im 19. Jahrhundert einen ganz beson-
deren Platz ein. Mit einem heute geradezu un-
vorstellbaren und schon oft mit Recht als Bie-
nenfleiß apostrophierten Arbeitseifer hat er,
der protestantische Pfarrer und Literat aus
Dürkheim an der Haardt historisches Quel-
lenmaterial gesammelt, darunter entlegenste
Bausteine zur Geschichte pfälzischer Klöster,
Städte, Adelsgeschlechter und Territorien.
Mehr als zwei Dutzend zum Teil sehr weit-
schichtiger Werke entstammen seiner bis ins
hohe Alter rastlosen Feder. Werke, deren stau-
nenswerte Reichhaltigkeit auch Kritiker
immer wieder dankbar anerkennen mußten.
Vor 100 Jahren, am 5. August 1876, schloß
Johann Georg Lehmann hochgeehrt und kor-
respondierendes Mitglied der Akademie der
Wissenschaften in München, nach einem
arbeitsreichen Leben in Nußdorf bei Landau
für immer die Augen. Auf dem Nußdorfer
Friedhof hat er seine letzte Ruhestätte gefun-
den. Die Bezirksgruppe Landau des Histori-
schen Vereins der Pfalz hat aus diesem Anlaß
am Sonntag, dem 1. August, am ehemaligen
Pfarrhaus in Nußdorf eine Gedenktafel für
den Altmeister der pfälzischen Geschichts-
schreibung enthüllt.
Johann Georg Lehmann wurde am 24. De-
zember 1707 In Dürkheim als Sohn des dorti-
gen reformierten Pfarrers geboren. Im roman-
tischen Heidelberg widmete er sich ebenfalls
dem Studium der Theologie, daneben ließ er
früh seinen Neigungen zur Geschichte freien
Lauf. Als Vikar und Pfarrverweser trat er 1821
seine erste Amtsstelle in Heuchelheim bei
Dirmstein an. Seine berufliche Bahn führte
ihn dann über Ellerstadt, Altleiningen. Wei-
senheim am Berg und Kerzenheim nach Nuß-
dorf, wo er von 1846 an die letzten drei Jahr-
zehnte seines Lebens verbracht hat. Von Nuß-
dorf aus stand er mit den bedeutenden Histori-
kern jener Tage in ständiger Verbindung, mit
Ludwig Häuser, Johann Friedrich Böhmer,
mit Stälin, Hautz und schließlich auch mit
Wilhelm Heinrich Riehl pflegte er ernen regen
Briefwechsel und mancher wir ein gern gese-
hener Gast im Nußdorfer Pfarrhaus.
Neben einigen kleinen 1822 verfaßten Bei-
trägen im "Intelligenz-Blatt" des Rheinkrei-
ses trat Lehmann im gleichen Jahre mit seinem
historischen Erstlingswerk hervor, der „Ge-
schichte des Klosters Limburg bei Dürkheim
an der Haardt". Der erste Regierungspräsi-
dent des bayerischen Rheinkreises, Joseph von
Stichaner, hebt 1830 dieses Werk ausdrück-
lich in einen großen Bericht über die histori-
schen Aktivitäten im linksrheinischen Bayern
an den König in München hervor. Auf Anre-
gung des Historischen Vereins der Pfalz, zu
dessen ersten Mitgliedern Lehmann zählte,
entstand die 1845 veröffentlichte "Diplomati-
sche Geschichte des Stifts des heiligen Philipp
zu Zell in der Pfalz"; 1840 war schon eine „Ur-
kundliche Geschichte der Klöster in und um
Worms" vorausgegangen. Die Städte Landau
(1851) und Kaiserslautern (1853) verdanken
Lehmann eine chronologisch angelegte Kurz-
fassung ihrer Geschichte. Allein die Kaisers-
lauterer Stadtgeschichte erlebte in den seither
vergangenen 120 Jahren drei Neudrucke. Von
diesen Arbeiten her wird der 1854 an Lehmann
herangetragene Plan verständlich, für ein von
München wiederholt angeregtes Ortslexikon
die Bearbeitung zumindest der Städte Lan-
dau, Neustadt an der Hahaardt, oder Kaiserslau-
tern zu übernehmen, da er "bezüglich dieser
Städte bereits die erforderlichen Sammlun-
gen" besitze. Auch diese Absichten wurden
nicht realisiert, ein historisches Ortslexikon
des pfälzischen Raumes ist noch heute ein
Wunschtraum, dagegen verfaßte Lehmann für
das von Riehl betreute Sammelwerk "Bava-
ria" in dem der Pfalz gewidmeten Band Vier
die ortsgeschichtliche Übersicht.
Lehmanns bedeutendstes Werk ist zweifel-
los seine „Urkundliche Geschichte der Burgen
und Bergschlösser in den ehemaligen Gauen,
Grafschaften und Herrschaften der bayeri-
schen Pfalz, ein Beitrag zur gründlichen
Vaterlandskunde". Das fünfbändige in den
Jahren 1857 bis 1866 in Kaiserslautern er-
schienene Werk ist das Ergebnis einer fünf-
undzwanzigjährigen Sammel- und For-
schungstätigkeit. In seinem Nachruf auf
Johann Georg Lehmann in der öffentlichen Sit-
zung der Akademie der Wissenschaften in
München vom 21. März 1877 rühmte der Histo-
riker Wilhelm von Giesebrecht gerade dieses
umfangreiche Werk, das „immer eine der er-
giebigsten Fundgruben für die Lokalge-
schichte der Pfalz bleiben wird" und das Leh-
mann den „Ruf als hervorragender Kenner der
pfälzischen Geschichte gesichert“ habe. Post-
hum erschien 1878 noch eine weitere burgen-
geschichichtliche Abhandlung, "Dreizehn Bur-
gen des Unter-Elsasses und Bad Niederbronn
nach historischen Urkunden".
Dem pfälzischen Adel waren Arbeiten zur
Geschichte der Herren und Grafen von Fal-
kenstein am Donnersberg gewidmet, ferner
zur Geschichte der Dynasten von Leiningen-
Westerburg, sowie zur Geschichte der Graf-
schaft Hanau-Lichtenberg. Auch das gräf-
lich-zweibrückische Haus und das Herzogtum
Zweibrücken waren Gegenstand seiner ur-
kundlichen Arbeiten, ebenso die Grafen von
Sponheim.
Von den zahlreichen Arbeitsvorhaben Leh-
manns muß noch einmal die eingangs schon
zitierte pfälzische Landesgeschichte hervor-
gehoben werden. Zwar ist es Lehmann nicht
vergönnt gewesen, eine Gesamtgeschichte des
pfälzischen Raumes zu vollenden, Ansätze
dazu sind jedoch erkennbar in seinem „Ent-
wurf einer rheinpfälzischen Landesge-
schichte" aus dem Jahre 1837 und seiner 1842
veröffentlichten Darstellung „Kurzgefalßte
Geschichte der bayerischen Pfalz". Auch diese
Absicht Lehmanns ist noch heute ein Deside-
rat pfälzischer Landeskunde und Landesge-
schichte.
Eine Erinnerung an das Lebenswerk von
Johann Georg Lehmann muß auch seiner um-
fangreichen Urkundensammlung Erwäh-
nung tun. Die Sammlung pfälzischer Urkun-
den befindet sich heute in der Universitätsbi-
bliothek Heidelberg. Woher diese Bestände im
einzelnen stammten, wäre einer eigenen Un-
tersuchung wert.
Die Lehmannsche Darstellungsart. die
Methode, oftmals ausführliche, aber nur lose
aneinandergereihte Regesten- oder Urkun-
den- und Aktenauszüge wiederzugeben, läßt -
man wird das nicht verschweigen dürfen - mit-
unter Lebendigkeit der Darstellung und damit
gute Lesbarkeit vermissen. Vielleicht ist auch
darin der Grund dafür zu suchen, daß es Leh-
mann nicht gelungen ist, eine zusammenfas-
sende Darstellung eines geschichtlich so diffe-
renzierten Raumes wie der Pfalz zu liefern.
Wie aber schon J. Franck, Lehmanns Bio-
graph, in der Allgemeinen Deutschen Biogra-
phie feststellen konnte, werde derjenige, der
tiefer In die Materie eindringt, entschädigt
durch die ungeheure Fülle des historischen
Materials, das sich auch anderswo vielfach
verwenden lasse.
Klaus-Peter Westrich
Pfarrer J. G. Lehmann