Original: Deutsch
Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften
Philosophisch-historische Abteilung Jg. 1934 H.4
Die mittelalterliche Dombibliothek zu Speyer von Paul Lehmann.
S. 5 Grünenwald berichtete dem Chronisten Simonis folgend: "mit dem kostbaren
Klosterschatze der Abtei Limburg, den Kaiser Heinrich IV. am 30. August
1065 samt der Abtei dem Bischof Einhard II. von Speier geschenkt hat,
erhielt das Domstift auch 3 wertvolle alte Bücher, die allein schon ein
königliches Geschenk waren: "Ein Messbuch in Helffenbein und in Gold ver-
fasst. Auch ein Psalterbüchlein, so des Kaisers Caroli Magni gewesen, war
durchaus mit Gold geschrieben, in Helffenbein eingebunden und mit Gold
beschlagen." Die drei Hauptschriften gelten für verschollen. Und doch
scheint mir gerade die geschichtlich besonders interessante zweite er-
halten zu sein in Hs. 1861 der Nationalbibliothek zu Wien, in dem berühm-
ten goldenen Dagulf-Psalter Karl des Grossen. Wir wussten bisher, dass
der Codex aus dem Bremer Dom nach Wien gekommen ist, und konnten ihn un-
bedenklich mit dem "psalterium aureis scriptum letteris" gleichsetzen,
das laut alten Zusätzen im Geschichtswerk Adams von Bremen (lib.III
cap.45) 1065/66 König Heinrich IV. /S. 6/ dem Erzbischof Adalbert von
Bremen für seinen neuzuerrichtenden Dom geschenkt hat. Sollte es sich
aber nicht bei dem goldenen Psalter Karl des Grossen in Bremen und dem
goldenen Psalter Karl des Grossen in Speyer um ein und dieselbe Hand-
schrift handeln? Ich wage es, ein Ja als Antwort vorzuschlagen. Denn es
war, wie urkundlich bezeugt ist, Adalbert von Bremen gewesen, der König
Heinrich veranlasst hatte, dem Bischof von Speyer die Abtei Limburg an
der Hardt (bei Dürkheim in der Rheinpfalz) mit all ihrem Hab und Gut
zur freien Verfügung zugunsten des Speyerer Domes und Domkapitels zu
überlassen. Es liegt meines Erachtens sehr nahe anzunehmen, dass der Bre-
mer Erzbischof, als er im selben Zeitraum seine eigene Kirche neu aus-
statten musste, sich vom deutschen König und dem ihm zu Dank verpflich-
teten Speyerer Bischof das goldgeschriebene Psalterium Karl des Grossen
aus dem für Speyer bestimmten Limburger Kirchenschatz schenken liess,
eine Handlungsweise, die durchaus zum Charakter und zur Machtfülle des
prunkliebenden, eigensüchtigen Bremer Erzbischofs passt. Stimmt diese
Kombination,dann ist das Prachtmanuskript nie oder nur für wenige Mo-
nate in Speyer gewesen. Andererseits werden wir durch all das daran er-
innert, dass der Speyerer Dom und die Speyerer Dombibliothek eine reiche
Quelle im Bücherbesitz der salischen Herrscher und der Kirchen und Klö-
ster ihrer Familie hatten, werden darauf hingewiesen, dass dank der Für-
sorge der Salier die eine oder andere karolingische Handschrift nach
Speyergekommen ist.
Speyer, den 6. Juni 1934