Original: Deutsch
Die Bodendorfer Stiftsmesse
des preußischen Staatsministers Freiherr vom Stein
Abschrift des Originals von Josef Erhardt 2023-05-17
Karten aus denen die Liegenschaften ersichtlich sind befinden sich im Lagerbuch der Kirche 0001_C_1-8
Die fremden Besucher der Sonntagsmesse in der Bodendorfer Pfarrkirche vernehmen stets mit Verwunderung die Verkündigung einer Stiftsmesse des Freiherrn vom Stein für den jeweiligen Samstag der Woche.
Dieselbe fundiert auf einer Urkunde aus dem Jahre 1626, die sich im
dortigen Pfarrarchiv befindet.
Wie kommt die Pfarrkirche Bodendorf zu dieser Stiftsmesse, wo doch
Freiherr vom Stein bekanntlich aus einer Familie stammt, die
schon seit der Reformation lutharisch evangelisch ist. Fast könnte es daher den Anschein haben, als habe dieser bedeutende Reformer aus Weltklug-heit sich bereits zeitlebens für das Jenseits rückversichert. Oder
aber war dieser große Staatsmann nicht nur in weltlichen Dingen seiner
Zeit voraus bis in unsere heutigen Tage, und hat er bereits den Grund
gelegt zum ökumenischen Gedanken von der Einheit der Christen, wie er zur Zeit einer der Haupthemen des vatikanischen Konzils bildet? Ohne Zweifel ist die Frage der Koexistenz nicht erst ein Kind unserer Tage,
sondern die Zeit mußte den ökumenischen Gedanke erst zur Reife bringen, damit er mit der gegenwärtigen Dynamik zur Entfaltung kommen konnte, Tatsache ist, daß der große Staatsminister Freiherr vom Stein zeitlebens
ein frommer Christ, ein religiös wahrer Mensch war, der in seiner schlim-msten Zeiten erklärte, "Der Glaube an eine Vorsehung erhält mir meinen inneren Frieden und gibt mir einen sehr ruhigen Blick in die Zukunft."
Wie er gelebt, so starb er auch in einem klaren kindlichen Vertrauen
auf Gott. Von seinen Freunden verabschiedete er sieh mii den Worten
" Ich glaube fest, daß zwischen den Toten und Lebenden eine ewige Ge-meinschaft besteht." Dieser religiösen Überzeugung entsprach auch sein gutes Verhältnis mit aufgeschlossenen Andersgläubigen. Obwohl im protes-tantischen Nassau beheimatet verbrachte er seinen Lebensabend auf seinem Gut Cappenberg, einer ehemaligen Prämonstratenser Propstei im Landkreis Lüdinghausen, zumal die westfälichhe Landschaft und ihre Menschen seiner herben, echten, frommen, unsentimentalen und vitalen Art am ehestem entspra-chen. Der Protestant Stein ließ hier sogar die katholische Kirche
wieder herstellen und gab damit ein deutliches Zeichen seiner
wahrhaft ökumenischen Gesinnung. Heute noch wird in der katholischen Kirche zu Cappenberg eine Totentafel für den Freiherrn vom Stein aufbewahrt. Ein Zeichen seines sachlichen, weitschauenden und echt religiösen Geistes be-deutet es, wenn er im Jahre 1825 an den Erzbischof Spiegel schrieb:" Bei-de Religionsparteien sind faktisch vorhanden, die katholische Kirche hat durch die protestantische Opposition an Sittlichkeit, Wissenschaft, Freiheit von Aberglauben gewonnen, daß bezeugt die Geschichte•••
Wir müssen also friedlich nebeneinander wohnen, die Verschiedenheiten allmählich ausgleichen, unerklärbare Geheimnisse nicht nach Vorschrif-ten der Logik definieren wollen und demütig glauben. Dem toleranten Geiste des Freiherrn vom Stein entspringt, daher auch die Stiftung der Messe in der Bodendorfer Pfarrkirche, wie es auch der Wortlaut der Ur-kunde zeigt, wo es heißt" Joh. Heinr. Friedrich Carl Freiherr vom Stein Königlich
Preußischer Staatsminister, Ritter des großen schwarzen Adler-Ordens, des Königlich Kayserlich. St.Andreas und St. Alexander Newsky Ordens und des Königlich Ungarischen St.Stephans Ordens, thue kund und bekenne hiermit, daß ich gemeinschaftlich mit dem minderjährigen Herrn Besitzer der Reichsgräflich Neßelrode-Reichensteinischen Erbverlaßenschaft, Hochdessen Vormundschaft Beystimmung dieser Urkunde hierunter beygesetzt sich befindet, in der Absicht, um die Herren von Landscron jetzt und künftig in frommen Andenken zu erhalten, und einem zeitlichen Pfarrer zu Bodendorf, als dem Hauptort der ehemaligen Herrschaft Land-scron ein der Würde seines Amtes, angemeßenes Einkommen zu sichern, beschlossen habe, folgende Äeker, Wiesen, Weinberge und Rahmhecken, die der Herr Pasto Fey namentlich: " (es folgt die nament-
liche Aufführung der Ländereien in den einzelnen Gemarkungen insge-samt wie folgt):
Gemeinde Morgen 1) Viert 2) Pinten 3) Ruth 4) Fuß 5)
Lohrdorf 8 3 - 4 13
Remagen 31 4 2 13 16
Rahmhecken in
Gemark. Remagen 28 - 3 4 -
zusammen 67 7 5 21 29
Hierzu kommen noch der dritten Trauben von ungefähr drei Pinten, gelegen zu Gimmingen, Kirchdaun, Nierendorf.
Ich will und verordne für mich, meine Erben und Nachkommen, daß der
jetzige Pastor zu Bodendorf, Herr Bartholomäus Fey bis an seinem Tot, nach deßen Absterben aber seine Nachfolger in dem dasigen Pfarramt alle diese Güter ohne Aus-nahme unentgeltlich und frey von allen Abgaben, mit Ausnahm der Staatlichen Steuer benutzen und genießen sollen.
Für diese zu beziehenden Einkünfte soll jedoch der Herr Pastor Fey so lange er lebt, und wenn nach seinem Tode der Genuß dieser Stiftung auf seinen Nachfolger im Pfarramte übergegangen seyn wird, leisterer und alle künftigen Pfarrer zu Bodendorf verpflichtet seyn an jeden Samstag für die verstorbenen Herrn von Landscron eine heilige Meße und zwar während der fünf Sommermonaten in der ehemaligen Schloßkapelle zu Land-scron, in den übrigen
sieben Monaten in der Pfarrkirche des Dorfes Bodendorf selbal zu lesen
oder lesen zu lassen. (Lt. Nachtrag v. 19.8.1629 heißt es, daß „in der Zukunft die sams-tägige Meße statt auf der Landscroner Kapelle fernerhin in der
Bodendorfer Pfarrkirche gehalten werden soll und könne."d. Chronist)
Es folgen dann einige Bestimmungen für den Fall der Nichterfüllung dieses
Willens und schließlich die Unterzeichnung d. Chronist)
Zur Begaubigung alles Obigen habe ich diese Urkunde eigenhändig
unterschrieben und mein Freyherrliches Insiegel beigefügt.
Cappenberg die 19ten Märtz 1826
(Siegel) gez. Heinrich Friedrich Carl
Freih. vom Stein
Gegengezeichnet ist die Urkunde unterm 24.Märtz 1826 auf Schloß Darfeld vom Vor-mund. i. der Vater des minderjährigen Sohnes Felix Reichsfreyherrn Droste zu Vishe-ring, als Besitzers der Reichsgräflich Neßel-Reichen-
steinischen Erbverlaßenschaft, sowie unterm 21.April 1626 dem Bischof von Trier von Hommer, ferner unterm 1.August 1826 von der Königl.Preuß.Regierung Abteilung des Innern in Coblenz gez. Heuberger.
Seit 138 Jahren vrwaltet nun schon die Pfarrei Bodendorf dieses
Stiftsvermögen, während die Kuppe des Berges Landskron im Besitz der
gräfl. v. Kanitzchen Hauptverwaltung in Cappenberg sich befindet.
Während des Nationalsozialismus bemühten sich die Erben des Freiherr
vom Steinchen Nachlasses, das Testament ihres großen Ahnherrn aus menschlich ver-ständlichen Gründen anzufechten. Wer zahlt denn auch schon gerne Abgabe für Güter ohne Nutznießer davon zu sein. Bis zur höchsten Instanz in
Berlin ging dieser Prozeß, und selbst die nat. Soz. Machthaber konnten
wohl oder übel mit Rücksicht auf die Bedeutung dieses großen Staatsminister
Freiherrn vom Stein nicht umhin als das Testament zu bestätigen.
Was veranlaßte nun den Freiherrn vom Stein zu dieser hochherzigen Stiftung gerade an die Pfarrgemeinde Bodendort und ihre Pfarrer. In etwa mag ihn, wie ja auch schon aus der Stiftsurkunde hervorgeht der Gedanke an seine Vor-fahren auf der Landskron und die Verbindung Bodendorfs als Hauptort
dieses ehemaligen Herrschaft dazu bewogen haben. Tatsächlich bildete sein enges Verhältnis zu dem damaligen Pastor von Bodendort, Bartholomäus Fey, die eigentliche Ursache. Dieser weltgewandte, sprachkundige und vielseitige Pfarrer genoß das vollste Vertrauen des preußischen Staatsministers.
Schon gleich nach seiner Ernennung zum Pfarrer von Bodendorf im Jahre 1802 über-trug er ihm die Verwaltung seiner Landskroner Güter. Als Rentmeister
des Freiherrn erwarb Fey u.a. die Königsfelder Burg der Bassenheimer.
Gewiß hat er in dieser Eigenschaft während der Zeit des 5 Jährigen Exils
des Freiherrn im Ausland und der Beschlagnahmung seiner Güter durch die Franzosen mancherlei zur Rettung seines Besitzes auf Grund seiner voll-
endeten Beherrschung der franz. Sprache vermocht, was die freundschaftlichen Bande zwischen ihm und dem Herrn der Landskrone enger knüpfte. Lt. Urkunte vom 1.7.1814 erfolgte dann auch seine Ernennung zum Personatisten der Landeskroner Kapelle mit allen Ehren und Dotationen. Wiederholt weilte
der hohe Herr im Haus Nr. 100 zum freundschaftlichen Besuch beim gast-
liche Pfarrer Fey. Bis Tor einigen Jahren schmückte hier das Besuchszimmer
in der sich heute ein Haushaltsgeschäft befindet, eine Besonders schöne
Tapete aus dieser Zeit mit reizenden Landschaftsmotiven. Teile davon ver-wahrt der Eigentümer des Hauses noch heute in seine m Besitz.
Aber auch auf Schloß Nassau war Pfarrer Fey gern gesehener Gast, wo der Freiherr den schlichten Landpfarrer durch einen Ehrenplatz an seiner Seite
vor anderen hohen Gästen ehrte. Auch sonst erzeugte er ihm seine
Gunst durch besondere Zuwendungen für ihn sowie die Bodendorfer Pfarr-kirche. Aus seinem Besitz verwahrte die Pfarrkirche noch heute u.a.
4 kostbare handgestickte Meßgewänder mit dem Wappen von Clodt, den
Vorfahren derer vom Stein auf Landskron. Auf seine Veranlassung wurden 1829 die sterbl. Überreste des 1621 verstorbenen letzten Quadt, die im Laufe
von 150 Jahren mit 7/9 Hauptbesitzer der Ganerbenburg Landskron geworden waren, aus der profanierten Martinskapelle zu Remagen (der heutigen
Apollinariskirche) feierlich in die Pfarrkiche zu Bodendorf übertragen, und hier vor dem Josefsaltar beigesetzt.
138 Jahre sind seit der Stiftung ins Land gezogen, Geschlechter sind
währenddessen gekommen u. gegangen, Throne errichtet u. gestürzt, Staats umwäl-zungen haben stattgefunden u. die Kriegefurie hat über der Heimat gewütet. Inflatio-nen habe das private und gesellschaftl. Leben ruiniert
und selbst vor frommen Stiftungen, die für die Ewigkeit errichtet waren, nicht Halt ge-macht. Einzig u. allein die Bodendorfer Stiftemesse des Freiherrn vom Stein hat alle Wirren überstanden. Hat der große Staatsmann in weltweiter
Voraussicht auch schon dafür Mittel und Wege gekannt." Wer dem Herrgott gibt, leiht auf Wucher, sagt wohl das Sprichwort," Doch in diesem Fall
verliert es seine Geltunlg. Inflation bedeutet Geldentwertung, aber der
Ertrag aus Grund u. Boden behält stets seinen Wert lautet die Bauernweis-
heit. Stiftungen durch Geldsummen selbst auf Goldbasis sind entwertet
worden. Doch mit dem vielfachen Ertrag aus der hocbherzigen Stiftung des Freiherrn vom Stein wird selbst der Außenstehende zugeben, daß auch bei einem Höchstsatz von 6 DM Stolgebühren jederzeit gut u. gebe 52 Stifts-
messen im Jahre gelesen werden können. Damit kann also allezeit der Wille des Frei-herrn vom Stein erfüllt werden. der, wie schon aus dem Wortlaut der Stiftung hervor-geht, keineswegs die Absicht hatte, mit dem Herrgott ein
Geschäft zu machen, sondern nur aus frommer Gesinnung und dem Willen zu helfen gehandelt hat. Davon zeugt bis auf den heutigen Tag die Inschrift auf
seinem Grabstein in Frücht bei Nassau an der Lahn, die da lautet:
"Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein geboren
den 27 sten October 1757, gestorben den 29sten Juni 1831, ruhet hier;
der letzte seines über sieben Jahrhunderte an der Lahn blühenden Rittergeschlechtes, demütigt vor Gott, hochherzig gegen Menschen, der Lüge und des Unrechtes Feind, hochbegabt in Pflicht und Treue, unerschütterlich in Acht und Bann des bebeugten Vaterlandes ungebeugter Sohn, in Kampf und Sieg Deutschlande Mitbefreier.
Ich habe Lust abzuscheiden und bei Christo zu seyn.
Bodendorf, 1.10.1964 K-eck. (Holbeck)
Anmerkung:
1) In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde das historisch und regional unterschiedliche Flächenmaß Morgen (kurz: Mg) genormt. In Anlehung an den Preußischen Morgen und in Übereinstimmung mit dem gebräuchlichen metrischen System entspricht ein Morgen seither exakt 25 Ar bzw. 2.500 Quadratmetern.
2) In Österreich gebräuchliches Flächenmaß (auch Strich) im Weinbau, das auch als Synonym für Weingarten verwendet wird. Es umfasst 2.877 m² = 0,29 ha oder ein halbes Joch.
3) Als Längenmaß geht das Pinten/Klafter auf die Spanne zwischen den ausgestreckten Armen eines erwachsenen Mannes zurück und wurde traditionell mit 6 Fuß definiert, entsprach also etwa 1,80 m.
4) Die preußische Rute war eine Zwölf-Fuß-Rute. Sie entsprach gemäß der offiziellen Umrechnung genau 1669,56 Pariser Linien, also etwa knapp 3,77 m. Die kulmische Rute war bis 1816 das Maß im Osten Preußens. 1 kulmische Rute entsprach 4,3892 m, 1 kulmischer Fuß 26,261 cm und eine Meile 7900,500 m.
5) Der Quadratfuß (square foot, Plural square feet) ist ein Flächenmaß im angloamerikanischem Maßsystem, das in den USA und im Vereinigten Königreich benutzt wird. Ein Quadratfuß ist definiert als eine quadrati-sche Fläche mit einer Kantenlänge von 1 Fuß (entspricht 0,333 Yard, 12 Zoll (inches) bzw. 0,3048 Meter.