Die wechselnden Herrschaftsverhältnisse im Frankreich des 19. Jahrhunderts und die häufigen Einschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit führten dazu, dass sich viele Herausgeber von Karikaturen eher auf unverfängliche Sozialsatiren fokussierten. So beschäftigen sich auch die zahlreichen Karikaturen aus dem Haus des erfolgreichen Pariser Verlegers Martinet weniger mit politischen Themen, sondern vor allem mit den Sitten und Moden der damaligen Zeit. Bekannte Serien waren etwa "Le suprême bon ton", "Le goût du jour" oder "Garde à vous", zu der auch die vorliegende Karikatur gehört (Nr. 20). Die Karikatur trägt einen Titel, der wortwörtlich übersetzt "Der Tag des Bartes" heißt, womit aber eigentlich "Der Tag der (Bart-)Rasur" gemeint ist. Der dargestellte Mann rasiert sich aber mitnichten den Bart, sondern den Kopf. Es ist anzunehmen, dass er aufgrund seines fortgeschrittenen Alters das Schicksal vieler Männer teilt, die allmählich kahl werden. Das würde auch das Tragen einer Perücke erklären, die schon an der Wand bereit hängt, denn eigentlich kam das Tragen von (insbesondere weißen) Perücken zu Beginn des 19. Jh. eher aus der Mode. Der Zeichner macht sich jedenfalls über die Bemühungen des Mannes, sein "Schönheitsproblem" zu kaschieren, lustig, was durch die unvorteilhafte Darstellungsweise (der untersetzte Körperbau, die nachlässig angezogene und hinten aufgeplatzte Hose) in diesem intimen Moment noch betont wird. [Johanna Kätzel]