Seit frühchristlicher Zeit trägt der Priester während des Gottesdienstes eigens für diesen Zweck angefertigte Messgewänder. Deren wichtigstes ist die Kasel. Ihre einfachste Form ist die Glockenkasel, die wie der Name bereits sagt, ähnlich einer Glocke in ausgelegtem Zustand einen Halbkreis bildet, der in der vorderen Mitte durch eine Naht geschlossen ist. Auch unsere aus gelbem Seidengewebe bestehende Kasel, die traditionell als Messgewand des Hl. Willigis (Mainzer Erzbischof von 975 - 1011) angesehen wird, ist in dieser Form geschnitten. Sie ist mit einem fließenden Dessin aus gegenläufig aufsteigenden Wellenbändern geschmückt, einem sog. "Spitzovalmuster". Die Musterung, die hier außergewöhnlich groß ausfällt, wirkt fast wie eingeritzt, daher werden solche einfarbigen, gemusterten Seidenstoffe auch treffend als "geritzte" Seiden bezeichnet.
Der um das Jahr 1000 hergestellte Stoff der Willigiskasel dürfte im Vorderen Orient, vermutlich in Syrien, gewebt worden sein. Ob der Kaiser von Byzanz der Auftraggeber war und ob die byzantinische Prinzessin Theophanu (972 - 991), die Frau Otto II., den Stoff aus ihrem Brautschatz nahm und an Erzbischof Willigis, den Erzieher ihres Sohnes Otto III. verschenkte, ist nicht näher zu belegen. In der Regel kamen aber solch außerordentlich kostbare Seidengewänder nur den Angehörigen des Kaiserhauses und den ranghöchsten (Kirchen-)Fürsten des Reiches zu.
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