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Stadtmuseum Bad Dürkheim im Kulturzentrum Haus Catoir Schriftgut Persönlichkeiten - Räder, Karl Wurstmarkt, Bad Dürkheimer [2023/1333]
https://rlp.museum-digital.de/data/rlp/resources/documents/202309/13101451682.pdf (Stadtmuseum Bad Dürkheim im Kulturzentrum Haus Catoir CC BY-NC-SA)
Herkunft/Rechte: Stadtmuseum Bad Dürkheim im Kulturzentrum Haus Catoir (CC BY-NC-SA)
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Karl Räder, Der Dürkheimer Wurstmarkt, 1952

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Beschreibung

Handschriftliches Traktat des zu diesem Zeitpunkt 83 Jahre alten Karl Räder über den Wurstmarkt in Bad Dürkheim.
Im ersten Teil beschreibt er den "alten" Wurstmarkt so, wie er ihn selbst erlebt hat. Seine Angaben liefern durchaus wertvolle Hinweise über die Entwicklung und die verschiedenen Aspekte dieses Volksfestes in der Zeit vor den beiden Weltkriegen.
Im zweiten Teil seiner "Bemerkungen" beschreibt er den "modernen" nachkriegszeitlichen Wurstmarkt aus seiner Perspektive. Dabei beklagt er die neuen Entwicklungen. So regt er sich z.B. über die Musikauswahl der Kapellen auf (Jazz-Gedudel etc.) und drückt sein Missfallen über die "anreisserische Plärrerei" aus den Lautsprechern mancher Händler aus. Außerdem lässt er sich über die "Jugend" aus, der viele moderne Dinge "eingetrommelt" werden, die er völlig ablehnt.
Insgesamt liefe der Wurstmarkt Gefahr, sich zu einer "Großstadt-Rummelmesse" zu entwickeln. Mehrmals betont er seine Ablehnung der "Verherrlichung des Besoffenseins", die in Postkarten u.ä. zum Ausdruck käme. Daneben fordert er strengeres Durchgreifen der Polizei bspw. bzgl. Prostitution etc. ("Veronikas und Nachtigallen").
Neben dieser massiven Kritik macht er auch konkrete Vorschäge inbesondere in Bezug auf den Wurstmarktumzug und "historische Darbietungen" in diesem Kontext.
Räder zeigt hier seine stark wertkonservative Grundhaltung, die mit den Entwicklungen und Aspekten einer neuen Zeit nicht einverstanden ist.
Die Schrift wurde in ein DIN A4-Schreibheft eingetragen.

Dat.: 1952

Material/Technik

Papier/Handschrift

Maße

21,1 x 14,9 cm

Abschrift

Original: Deutsch

„Der alte Dürkheimer Wurstmarkt“ Von Karl Räder, Bad Dürkheim (Anfang August 1952) [Maschinenabschrift 1. an Hrn. Heinz 2. an Hrn. Bingmann (?), Stadthaus] Vom alten und neuen Dürkheimer Wurstmarkt von Karl Räder, Bad Dürkheim Da ich in Bad Dürkheim geboren und den 1870er Krieg als Einjähriger mit erlebt habe, gedenkt mir der Dürkheimer Wurstmarkt seit fast seit 80 Jahren. Damals wurde er, wie seit Jahrhunderten, an dem Sonntag begonnen, der dem Michaelistag (29. Sept.) am nächsten lag. Er fiel also meist in den Anfang Oktober und damit oft in den Hauptweinherbst. Auch wurde es da schon früher Nacht und oft war es da schon recht empfindlich kalt & feucht. Nach Mitternacht flaute daher der Betrieb schon merklich ab. Aus diesen Gründen wurde das Volksfest 19?? unter Bürgermeister Dr. Dahlem auf den 2. Sonntag im September vorverlegt. In den 70er und 80er Jahren waren die Brühl-Wiesen, auf denen der Wurstmarkt abgehalten wird, noch nicht aufgefühlt und die Wurstmarktstraßen noch nicht schottiert. Bei Regenwetter mußten Bretter durch den Morast gelegt und der „Brabbel“ zusammengekitscht(?) werden. Und wenn Vollgesoffene in den Brabbel borzelten, war das für uns Buben ein freudiges Ereignis. Die „Hütten“ wurden aus Brettern gezimmert und mit Brettern gedeckt. Mit den gestrunzten Bretterabfällen machten sich die Dürkheimer Buben kleine Feuer, und brieten darin gestrunzte Krumbeern und gefangene arme Frösche, manchmal war auch eine „Krott“ dabei. In den Hütten waren damals die Bänke und Tische in den gewachsenen Boden auf Holzpfosten aufgenagelt, wie heute noch bei den „Schubkarchständen“ üblich. Die Beleuchtung bestand aus Steinöllampen, die oft duftend qualmten. Auf den Musikbrücken aber spielten die Regimentskapellen aus Metz, Weißenburg, Landau & Germersheim in bunten Uniformen. Und einer der Militärmusiker sammelte mit dem Teller Kupferpfennige ein. Und wo das große Faß jetzt steht, stand ein Drehorgelmann und erläuterte mit seinem Stock eine auf Pappdeckel gemalte Mordgeschichte. Ein Hauptanziehungspunkt war das Kaspertheater. Doch wenn die Sammelfrau mit ihrem Teller kam, rissen wir Buben aus, denn damals bekamen die Kinder noch nicht das Marktgeld fünfmarkscheinweise wie heute. Hinter der „Großen Allee“ waren damals noch nasse Wiesen mit hohlen Kopfweidenstorzen. Ein bescheidener Platz davon war für die schlichten, noch ungedeckten „Schubkarchstände“ reserviert. Dort wo heute die alte Weinbau-Kongresshalle steht, stand jenesmal ein bescheidenes Häusel mit einem Raum, die Vorläuferin unsrer Dürkheimer Turnhalle. Bewußtlose „Vollgesoffene“ durften darin ihren Rausch gratis ausschlafen. Die Haupt-Schaustellungen waren früher der Ramschwaren ausschreiende „Wahre Jacob“, der Schlagkraft erfordernde „Haut den Lukas“, die Frau ohne Unterleib, dem Wachsfigurenkabinett, die bodenlose(?) Reitschul, die wir Buben für eine Freifahrt herumdrückten, Schießstände, ein Panoptikum, in dem man durch tellergroße Gläser farbige Kathastrophen sah, Wurstbuden, Gutzelstände usw. An den Ständen in der großen Allee probierten Winzer, in den Spiegel guckend eine neue Kapp aus, Großmutter eine neue Brille und Burschen neue Stiefel. Und die Dürkheimer kauften ihre Logeln, Zuber, Fässer u. Kübel, ihr Geschirr usw. am alten Turnplatz. Der jetzt entlang dem Wurstgelände zugewölbte Lauerbach stand in jener Zeit noch offen. Viele Weinleichen mußten aus ihm herausgezogen werden. Auf den Schubkarchständen sah man noch auf umgestürzten Schubkarren die Weinfäßchen der Winzerzäpfler(?). Mackenbacher Musikanten, die Thüringer Harfenhüte(?), Orgelmänner mit Stelzfüßen vom Krieg 1870/71, Schnorranten, Baijasse, fahrende Sänger und Bettler belebten das Wurstmarktsbild. Am Samstag-Vorabend war jenesmal noch kein Betrieb. Der Samstag-Abend-Betrieb, der heute von vielen als der schönste & gemütlichste Teil des Festes gepriesen wird, weil noch alles frisch & neu ist, kam erst in Schwung, als in der Anilinfabr. Vorbildlich der freie Samstag-Nachmittag eingeführt wurde. Eröffnet wurde der Wurstmarkt offiziell durch ein Standkonzert der Militärkapellen auf dem Schloßplatz Sonntags-Vormittags um 11 Uhr. Unter Vorantritt des dicken Polizeikommissars, der Hütten-Wirte & der Wachmannschaft mit alten Feuersteingewehren zogen am Schluß des Konzerts die Militärkapellen mit Marschmusik auf die Wurstmarktwiesen. Auf den Wiesen drunten hielten alte Frauen gesottene Kastanien…, Sperberfrüchte(?), Trauben usw. in sauberen Mistkörben feil. Der Pfälzische Mundartdichter Karl Aug. Woll schilderte den „alten Wurstmarkt“ in seinem zum ersten mal 1868 erschienenen „Pfälzischen Gedichten“ farbig, packend und originell. Sein Gedicht „der Worschtmarkt“, das am Schluß dieser Skizze angefügt ist, gibt uns heute noch ein blutvolles Bild des Wurstmarkt-Volksfestes in alter Zeit. Wie wir aus diesen Zeilen & dem Gedicht von Woll ersehen, war der Wurstmarkt früher ein schlichtes, feuchtfröhliches Pfälzer Volksfest. Wein, Winzer und Würste waren von Alters her seine sinnreichen Symbole, die auch gottlob heute noch das alljährliche Wurstmarkt-Plakat darstellt. Zum Schluß noch einige Worte über den modernen Wurstmarkt: „Alles fließt“. Alles ist im steten Wandel begriffen. So auch das Pfälzer Volksfest. Wurstmarkt, die Zentralweinkerwe der Rheinpfalz. Wie wir Auto, Film und Radio nicht nicht verneinen& verbannen können, so auch nicht den modernen mechanisierten, elektrifizierten und industrialisierten Wurstmarkt. Aber alles müßte geschehen, was irgend möglich ist, dem historischen 500 Jahren alten Dürkheimer Wurstmarkt den Charakter eines Volksfestes zu erhalten, damit er nicht zu einer seelenlosen Großstadt-Rummelmesse ausartet. Vor allem müßten seitens der städtischen Wurstmarktleitung allen Kapellen bei der Zulassung auferlegt werden jedes undeutsche Jazz-Gedudel, Geraffel und Gewinsel zu unterlassen, vor allem aber den widerlichen Biertusch: „Eins, zwei, drei! Gsuffa!“ Der passt vielleicht aufs Münchner Oktoberfest, aber nit auf das größte Pfälzische Weinfest! Auch sollte man den Teddi-Bären-Händlern bei der Zulassung die Bedingung stellen, die widerliche Anreißer-Plärrerei durch Lautsprecher zu unterlassen und die aufdringliche Belästigung der Besucher durch die Losverkäufer. Ich bin gewiß kein frömmelnder Mugger, aber strenge sollte man den Verkauf aller Postkarten etc. verbieten, die den Suff & und das Besoffensein verherrlichen. Dazu ist unser edler Pfälzer Wein doch zu kostbar! Auch kann die Polizei nicht streng genug den Veronikas und Nachtigallen auf den Versen(!) sein, die den alten guten Ruf unsres Wurstmarktes schädigen. Zur vielumstrittenen „Wurstmarkt-Festschrift“ noch kurz einige wohlgemeinte Bemerkungen. Sie ist nach außen hin ein kultureller Maßstab für den echten Dürkheimer & Pfälzer Wurstmarkt-Geist und das vornehmste Werbemittel für den nächstjährigen Wurstmarkt. Sie sollte inhaltlich so lapidar schlicht & volkstümlich einfach gehalten werden, wie das offizielle Wurstmarkt-Plakat, auf dem die drei Dürkheimer „W“: „Wein, Winzer & Wurst“ so symbolreich dargestellt sind. Auch in der Wurstmarkt-Festschrift sollte jede Glorifizierung des ekelhaften Besoffenseins in Wort & Bild peinlich vermieden werden. Ich weiß mich eins mit unzähligen Wurstmarkt-Besucher(n) aller Stände, die mich anriefen & mir schrieben, daß bildliche & literarische Beiträge bohemer und und erotisch-mondäner Art in die Wurstmarkt-Festschrift so wenig gehören wie andre verulkende Fasnachts-Viechereien, die an andrer Stelle gewiß am rechten Platz sein mögen. Man mag mir einwenden: „Man muß auch mal was andres bringen & der Jugend was modernes bieten!“ Aber der Jugend, die auf dem Wurstmarkt am wenigsten Geld ausgeben kann, gefällt alles, was man durch Wiederholung in sie hineintrommelt: Negermusik, Wildwest-, und Liebes-Schmalz-Filme und selbst surelastische(?) Bilder & Gedichte, die kein Normalmensch versteht. Wenn man allen Wünschen bilderstürmender Jugend entgegen käme, müßte man ihr sogar Rauschgift anbieten, wenn sie es wollte. Bedauern muß ich mit vielen treuen Wurstmarktfreunden, daß nicht alljährlich eine immer wiederkehrende „historische Darbietung“ stattfinden kann, die etwas(?) Bezug mit der Gründung des Wurstmarktes hat. Ich denke dabei an einen W.Markt-Festzug, in dem zu Pferd der Graf von Hardenburg , der Jäger aus Kurpfalz, der Pfälzer Kurfürst von Heidelberg, der Bürgermeister von Bad Dürkheim & der Abt Heinrich von der Limburg mit Gevolge mitwirken. Und wartend(?) am Schluß des Umzugs durch die Stadt der Abt Heinrich auf dem Wurstmarkt dem Bürgermeister von dem Graf Ehmich die Urkunde der Wurstmarkt-Sanktion feierlich vorliest & überreicht. Hiebei dankt der Bürgermeister und überreicht dem würdigen Abt u. den Herren den Ehrentrunk der Stadt Dürkheim. Leider läßt sich bei der eigennützigen Interesselosigkeit der Dürkheimer und bei der allgemeinen Beanspruchung der Dürkheimer an der Vorbereitung & Durchführung des Wurstmarktes kaum an eine Verwirklichung dieses Gedankens denken. Geschrieben anfangs Aug. 1952 auf Anregung von Herrn Karl Heinz, als Schriftltr. der Wurstm.-festschrift von Karl Räder (im 83ten)

Literatur

  • Matthias Nathal (2000): Bad Dürkheimer Stadtgeschichte(n). Ludwigshafen
  • W. Dautermann u.a. (1978): Bad Dürkheim - Chronik einer Salierstadt. Bad Dürkheim
Stadtmuseum Bad Dürkheim im Kulturzentrum Haus Catoir

Objekt aus: Stadtmuseum Bad Dürkheim im Kulturzentrum Haus Catoir

Der über 2000-jährigen Tradition des Weinbaus in Bad Dürkheim entsprechend, ist das Stadtmuseum in einem ehemaligen Weingut untergebracht. Auf über...

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