Original: Deutsch
Samstag, 7. August 1993
Schatzkammer Heimatmuseum
Vom „Hafenbinder" gekittet
Kurioses und Alltägliches (2): Eine Fayenceschüssel um 1600
Von unserem Mitarbeiter
Wolfgang Knapp
Gegenstände aus Keramik - davon
besitzt das Dürkheimer Heimatmu-
seum besonders besonders viele. Ne-
ben Gebrauchs- und Ziergeschirren
aus Steinzeug, Irdenware und Por-
zellan befinden sich auch einige aus
Fayence gefertigte Stücke in den
Sammlungen.
Fayence-Objekte werden bei etwa 1
100 Grad aus naturfarbigem Ton
gebrannt, nach dem Erkalten mit ei-
ner wasserundurchlässigen, un-
durchsichtigen, meist weißen Zinn-
glasur überzogen, die bei 900 Grad
aufgeschmolzen wird. Farbige Mu-
ster werden vor dem Glasieren mit
Scharffeuerfarben aufgetragen oder
mit Muffelfarben auf die Glasur ge-
malt. Tonwaren mit gefärbter Blei-
glasur ohne Zinn wurden seit dem 4.
Jahrtausend vor Christus in Ägyp-
ten, auch im ägäischen Raum herge-
stellt. Echte Fayence ist etwa seit
500 vor Christus nachweisbar.
Durch die Araber verbreitete sich in
Spanien die im Orient ausgebildete
Lüsterfayence. In Italien, wohin die
Technik aus Spanien gekommen
war, blühte sie besonders in Faenza
- daher ihr Name - und in Urbino.
Von dort gelangte sie im 17. und 18.
Jahrhundert nach Frankreich, Hol-
land und von Delft aus nach
Deutschland.
Aus einer Gruppe von Schüsseln
soll heute ein Exemplar vorgestellt
werden, das aufgrund bestimmter
Merkmale eine besondere Aufmerk-
samkeit verdient. Es handelt sich
um eine große runde Schüssel mit
schräg geriefter Außenwand und ge-
schwungenem Rand aus der Zeit um
1800. Sie ist mit der typischen
dicken, glänzenden und undurch-
sichtigen Glasur überzogen. Eine
Marke findet sich nicht. Wahr-
scheinlich wurde sie in Frankreich
hergestellt. Bemerkenswert ist ei-
nerseits die in blau und schwarz
ausgeführte Bemalung. Ein schlich-
tes, dem Rand folgendes Ornament-
band bildet den Rahmen für eine fi-
gürliche Darstellung auf der Schüs-
selinnenfläche: Ein pfeifenrauchen-
der junger Mann mit großem Hut
und langem spitzem Schnurrbart
steht lässig neben einem Stein in ei-
ner weiten flachen Landschaft.
Die Darstellungsweise besticht
durch einen spontanen und skizzen-
haften Charakter: Mit wenigen da-
hingeworfenen Linien ist das We-
sentliche wiedergegeben. Anderer-
seits muß auf den Erhaltungszu-
stand des Gefäßes verwiesen wer-
den: Obwohl die Schüssel eine Me-
tallöse zum Aufhängen besitzt, zei-
gen zahlreiche kleine Abplatzungen
am Rand und Abreibungen der Gla-
sur, daß sie nicht nur als Zierstück
diente, sondern auch einem intensi-
ven Gebrauch ausgesetzt war.
Dabei ist sie auch in zwei Teile
zerbrochen. Dies bedeutet jedoch
keineswegs, daß die Schüssel ausge-
dient hatte und weggeworfen wur-
de.
Vielmehr kam nun ein besonderer
Handwerkszweig zum Zuge: Die
sogenannten Hafenbinder, ein den
Pfannen- und Kesselflickern ähnli-
ches Handwerk, kümmerten sich um
die Reparatur beschädigter Kera-
mik. Ein solcher muß es wohl gewe-
sen sein, der beide Hälften wieder
exakt aneinanderfügte, verkittete
und mittels mehrerer in Bohrlö-
chern verankerter Eisenklammern
dauerhaft miteinander verband. So
kam es, daß die Schüssel auch die
Folgezeit unbeschadet bis zum heu-
tigen Tage überstand und die Dürk-
heimer Sammlung von Fayence-
schüsseln um ein interessantes
Stück bereichert.
Bei 1100 Grad ging sie durchs Feuer: eine Schüssel aus Fayence. (Foto: moni)